Mittwoch, 28. Dezember 2011

Brot im Überfluss

Auf meinem kleinen Schreibsekretär im Wohnzimmer liegt die Post der vergangenen Tage – drei Weihnachtsgrußkarten und ein Brief von der Tierseuchenkasse, der Rest ist Werbung. Obenauf liegt ein Bettelbrief von einer Hilfsorganisation. Mein Blick fällt auf die Überschrift: "Hunger-Tragödie in Ostafrika". Mit nur einem Euro am Tag, lese ich, könnte ich die Lebenssituation eines Hunger leidenden Kindes nachhaltig verbessern. Hm, denke ich und schaue auf unserem Kachelofen, wo wir gerade jede Menge Brot trocknen, das wir am zweiten Weihnachtstag von unserem Besuch bei den Schwiegereltern mitgebracht haben. Die Nachbarn der Schwiegereltern holen abends das nicht verkaufte Brot aus einer Bäckereifiliale kostenlos für ihre Pferde ab. Doch es ist so viel, dass sie gar nicht alles an die Pferde verfüttern können. Die Tiere können sich ja nicht nur von trockenem Brot ernähren. Außerdem ist das meiste Brot noch so frisch, dass es einfach zu schade wäre, es zu verfüttern. Also essen die Nachbarn das Brot zum Teil selbst, zum Teil geben sie es meinen Schwiegereltern. Für die Pferde bleibt immer noch mehr als genug übrig.

Die Autorin trocknet Brot auf dem Kachelofen und macht sich so ihre Gedanken.
Die Schwiegereltern nehmen das Brot dankbar an, obwohl sie es selbst nicht aufbekommen. Die Reste heben sie für unsere Pferde auf. Und so liegen jetzt auf unserem Kachelofen Croissants, Laugenstangen, Vollkornbrötchen, Weizenbrötchen, mit Käse überbackene Brötchen, ein in Scheiben geschnittenes Baguette und ein in Scheiben geschnittenes Mischbrot im Gesamtwert von etwa zwölf Euro, und in einer großen Plastiktüte im Flur liegt noch einmal so viel. Ein Mischbrot war sogar noch so frisch, dass ich mir jetzt morgens davon ein paar Scheiben toaste.
Was für ein Kontrast: Auf dem Schreibtisch der Bettelbrief mit den Mitleid erregenden Bildern halb verhungerter Kinder und auf dem Kachelofen und in der Tüte im Flur so viel Brot, dass zwei Kinder locker einen ganzen Monat davon leben könnten. Armut in Afrika – Überfluss in Europa.
Weihnachten und damit die gefühlsduselige Zeit ist zwar vorbei, aber trotzdem macht mich dieser Gegensatz traurig. Ich könnte jetzt natürlich schnell ein paar Euro an die im Absender des Bettelbriefs genannte Hilfsorganisation überweisen, aber ich halte das nicht unbedingt für die beste Lösung. In akuten Notsituationen, zum Beispiel nach Naturkatastrophen, sind Geldspenden sicher eine gute Sache, aber dauerhaft am Spendentropf der Europäer zu hängen, kann doch für die Afrikaner keine Lösung sein. Das ist doch irgendwie entwürdigend, und es schafft Abhängigkeiten.
Anstatt mit einer kleinen Geldspende unser schlechtes Gewissen zu beruhigen und dann so weiter zu leben wie bisher, sollten wir einfach mal über unser oft maßloses Konsumverhalten nachdenken und versuchen, ein wenig bescheidener zu werden. Wenn ich lese, dass rund 30 Prozent der Lebensmittel, die in den Handel kommen, nicht verkauft, sondern weggeschmissen werden, und das diese Marge bereits bei der Preisgestaltung mit berücksichtigt ist, dann gibt mir das schon zu denken.
Wenn Sie sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen, gehen Sie ins Kino und schauen sich Taste the Waste an – ein preisgekrönter Film über die globale Lebensmittelverschwendung. In dem Film erfahren wir zum Beispiel, dass deutsche Haushalte jährlich Lebensmittel für 20 Milliarden Euro wegwerfen – so viel wie der Jahresumsatz von Aldi in Deutschland beträgt. Das Essen, das in Europa im Müll landet, würde zwei Mal reichen, um alle Hungernden der Welt zu ernähren. Und die Halbierung des Lebensmittelmülls würde ebenso viele Klimagase vermeiden wie die Stilllegung jedes zweiten Autos weltweit. Hier ist der Trailer zum Film: (klick).
Taste the Waste ist übrigens nicht nur ein Film, sondern eine Bewegung, die sich an alle wendet, die gegen die Verschwendung von Essbarem sind. Die Initiatoren wollen informieren und zeigen, was jeder Einzelne tun kann, und das ist gar nicht so wenig.

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