Mittwoch, 23. Mai 2012

Lieber Bäume als Beton

Die Autorin bewässert ihre kleine Linde. Den Stamm hat einen Verbissschutz,
damit die Schafe nicht die Rinde abfressen,
Vor vielen Jahren war ich mal ein paar Wochen auf Island. Ich fand es total schön dort. Die Landschaft ist überwältigend. Dauerhaft leben möchte ich dort trotzdem nicht. Dass die Insel zu abgeschieden vom Rest der Welt, ist nicht der Grund. Die kleine, aber die quirlige Metropole Reykjavik hat eigentlich alles zu bieten, was der Mensch an Zivilisation so braucht. Auch das wechselhafte und überwiegend kühle Wetter schreckt mich nicht so sehr, obwohl es mir auf Dauer natürlich ziemlich auf die Nerven gehen würde. Viel schlimmer finde ich, dass es auf Island kaum Bäume gibt. Alles, was an Bäumen außerhalb der Städte wächst, wo in vielen Gärten einige durchaus stattliche Exemplare zu finden sind, ist eigentlich nicht der Rede wert. Die mickrigem, vom Wind zerzausten Birken sind eher bemitleidenswert. Zwar bemühen sich die Isländer, wieder Wald anzupflanzen, aber solche schönen Laub- und Mischwälder, wie wir sie kennen, wird es auf der sturmumtosten Insel im Nordmeer wohl nie geben - es sei denn, der Klimawandel fällt heftiger aus als befürchtet.
Im Frühling nicht unter dem hellgrünen lichtdurchfluteten Blätterdach eines Buchenwalds spazieren und sich im Herbst nicht an der bunten Farbenpracht einer Ahornallee erfreuen zu können, ist schon eine ziemlich schreckliche Vorstellung. Es soll ja Menschen geben, die sich in Betonwüsten ganz wohl fühlen - ich gehöre nicht dazu. Beton macht mich auf Dauer depressiv. Ein Waldspaziergang ist hingegen das beste Anti-Depressivum, das ich mir vorstellen kann. Und mit Wald meine ich richtigen Wald und keinen Fichtenforst.
Da ich Bäume so sehr mag, pflanzen wir auf unserem Hofgrundstück, das mit 10.000 Quadratmetern etwas mehr Platz bietet als der durchschnittliche Garten in einer Einfamilienhaussiedlung bietet, jedes Jahr etliche neue. Vor allem Obstbäume, aber auch Ahorne, Kastanien und Linden. Die Sämlinge für letztere drei Baumarten brauchen wir nicht zu kaufen, wir haben Hunderte davon, die unter den Kronen der Altbäume wachsen. Als Pendant zum großen, alten Nussbaum im Innenhof haben wir vor zwei Jahren nördlich des Hauses eine Linde gepflanzt, die sich schon prächtig entwickelt hat. Sie ist ein Ableger von einem der Straßenbäume. Linden zählten einst zu den beliebtesten Hofbäumen, weil weil ihre ausladenen Kronen so schönen Schatten spenden und ihre Blüten so betörend duften. Fast jedes Gasthaus hatte früher eine oder mehrere Linden vor der Tür. Entsprechend viele Gasthäuser trugen den Namen Zur Linde. Unter der Dorflinde wurde getanzt und gefeiert und unter den Gerichtslinden Recht gesprochen. In früheren Zeiten wurde die Linde hierzulande noch mehr verehrt als die Eiche. Im Grunde genommen ist sie und nicht die Eiche der Baum der Deutschen. Zahlreiche Dichter von Orvid bis Goethe widmeten der Linde liebliche Verse. Friedrich Hebel schrieb:
 Linde, du einziger Baum,
Dich grüßt wohl selbst der Blinde,
 Der deinen Namen nie im Traum
Vernommen, noch als Linde.
Bis wir im Schatten unserer Linde sitzen können, wird es noch ein paar Jahre dauern. Aber das macht überhaupt nichts. Es ist einfach schön zu sehen, wie die junge Linde jedes Jahr ein paar Zentimeter an Höhe gewinnt und das dünne Stämmchen und Umfang zulegt.
Bis morgen!

Montag, 7. Mai 2012

Pusteblumen

Nach längerer krankheitsbedingter Pause gibt es ab heute endlich wieder neue Beiträge.

Die Autorin fühlt sich in ihre Kindheit zurück-
versetzt.
Nanu, irgendetwas ist doch heute anders als gestern? Ich stehe draußen auf dem Hof und überlege angestrengt. Mein Blick fällt auf die Wiese unter den alten Kirschbäumen. Na klar, jetzt weiß ich, was anders ist! Quasi über Nacht haben sich die leuchtend gelben Löwenzahnblüten in weiße Wattebällchen verwandelt. Pusteblumen! Das erinnert mich an meine Kindheit. Ich pflücke eine der filigranen Schönheiten, spitze den Mund und puste kräftig. Schon fliegen die Früchte der Blume wie viele kleine Fallschirme davon. Deshalb nennt man sie auch Schirmflieger. Biologen bezeichnen diese Form der Ausbreitungsstrategie von Pflanzen als Meteorochorie.
Ein bisschen traurig ist es schon, dass die Zeit der gelben Löwenzahnwiesen schon wieder vorbei ist. Aber die Pusteblumen haben durchaus auch ihren Reiz, nicht wahr?

Filigrane Schönheit – gestern noch gelb, heute weiß.