Freitag, 4. Oktober 2013

Ein Schloss im Wald und verwundete Bäume

Blick auf das im Wald versteckte Schloss
Neumühle.
Heute war ich mal wieder wandern, aber nicht zu meinem Vergnügen, sondern weil ich noch schöne Herbstfotos für den Wanderführer für die östliche Südheide und die westliche Altmark brauchte, der im nächsten Jahr in unseren Verlag erscheinen soll. Ausgangspunkt der heutigen Tour mit dem Autor des Wanderführers war der einige Kilometer nordöstlich von Brome gelegene Ort Mellin. Wir wanderten in einer hügeligen Landschaft durch Lärchen- und Buchenwälder, erreichten auf einem schmalen, schon halb zugewachsenen Pfad die Quelle des Tangelnschen Baches, der einst Rostock mit Wasser versorgte (nein, gemeint ist nicht die Hafenstadt in Mecklenburg-Vorpommern, sondern ein kleines Dorf gleichen Namens in Sachsen-Anhalt), und umrundeten das im Wald versteckte Schloss Neumühle, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Wolfsburger Schloss hat. Diese Ähnlichkeit ist beabsichtigt: 1938 wurde die Stadt des KdF-Wagens – das heutige Wolfsburg – von den nationalsozialistischen Machthabern gegründet. Graf Günther von der Schulenburg verlor ddurch nicht nur einen Teil seiner Ländereien, sondern auch sein Schloss.  Immerhin erhielt er eine Abfindung in Höhe von 560.000 Reichsmark. Davon baute er sich ab 1938 ein neues Schloss auf einem ihm gehörenden Waldgrundstück in der Altmark, rund 35 Kilometer vom Schloss Wolfsburg entfernt. Es wurde nach Plänen des Architekten Paul Bonatz in moderner Bauweise aus Stahlbeton errichtet. Äußerlich wurde das Schloss auf alt getrimmt, erhielt eine Fassade im Stil der Weser-Renaissance, 1942 wurde das Bauwerk fertiggestellt und bezogen. Doch die Freude über das neue gräfliche Domizil währte nur nur drei Jahre. Kurz nach Kriegsende, vor der Einrichtung der sowjetischen Besatzungszone, flohen die von der Schulenburgs zurück nach Wolfsburg. Dabei ließen sie den Großteil ihrer Habe zurück. Das Schloss wurde von Soldaten der Roten Armee geplündert. Der gut versteckte Familienschatz blieb dabei allerdings verschont. Er wurde erst 2001 gefunden.
Unterhalb der in die Rinde der Kiefer gerisse-
nen Wunde waren Gefäße am Stamm befestigt,
in denen das Baumharz aufgefangen wurde.
Die von der Schulenburgs wurden erneut enteignet. Nach dem Krieg waren dort Flüchtlinge untergebracht, anschließend wurde das Schloss in ein Sanatorium für Lungentuberkulosekranke umgewandelt. Von 1965 bis 1991 wurde das Schloss als Pflegeheim für geistig Behinderte genutzt. Bis etwa zur Jahrtausendwende diente es als Wohnheim für geistig und seelisch behinderte Senioren.
Seit März 2000 gehört das Schloss einem Hamburger Immobilienkaufmann und ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Zurzeit wird die Umzäunung des Schlossgeländes erweitert, sodass man nur durch die hohen Buchen hindurch einen Blick auf das Gebäude werfen kann.
In einem Bereich des Waldes, wo weder Buchen noch Lärchen, sondern ausschließlich Kiefern standen. entdeckte ich am Wegesrand eine große Wunde im Stamm einer Kiefer mit einem nach unten hin spitz zulaufenden Rillenmuster. Sehr rätselhaft! Ich untersuchte die Wunde, ging um den Baum herum, und da sah ich, dass alle Bäume die gleichen Wunden hatten. Unser Buchautor lächelte wissend. "In diesem Wald wurde bis zur Wende im großen Stil Harz gewonnen", erläuterte er. Das Harz war ein wichtiger Rohstoff für das in der Farben- und Lackindustrie bemötigte Terpentinöl.

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