Mittwoch, 18. Januar 2017

Als Kyrell kam

Es blieb nicht bei ein paar abgerissenen Ästen: 
Sturm Kyrell hatte vor zehn Jahren im Wald breite 
Schneisen, auf denen kein einziger Baum mehr stand, 
hinterlassen. Heute sind die Jungbäume darauf schon
 wieder meterhoch.
Kyrell? Was ist denn das? Ein Shampoo? Ein Komet? Oder vielleicht eine Garnelenart? Nein, Kyrell hieß der große Sturm, der auf den Tag genau vor zehn Jahren  über uns hinwegfegte. Wer ihn damals "live" erlebt hat, wird ihn sicher niemals vergessen.
Klar, wir waren damals vorgewarnt, wussten, dass ein Orkan im Anmarsch war, der heftiger sein würde als alle anderen Stürme, die wir bis dahin erlebt hatten. Aber gerade das bange Warten war so unheimlich. Am späten Nachmittag kam er dann, kündigte sich von Westen her mit einem gewaltigen Grollen an, und der Himmel verfinsterte sich.
Damit die Pferde nicht in der Scheune von herunterfallenden Dachziegeln erschlagen werden, hatte ich sie aus dem Paddock geholt. Sie suchten nicht etwa irgendwo Unterschlupf, sondern stellten sich am tiefsten Punkt des Geländes mitten auf die Wiese. Nebeneinander aufgereiht standen sie da, alle mit gen Westen ausgerichtetem Hinterteil – sie zeigten dem Sturm damit die sprichwörtliche kalte Schulter und verharrten in stoischer Ruhe, bis alles vorüber war. Waren es zehn oder 15 Minuten? Keine Ahnung, mir kam es wie eine halbe Ewigkeit vor.
Da ich der festen Überzeugung war, dass die Pferde rein instinktiv wussten, wie sie sich in dieser Ausnahmesituation am besten zu verhalten haben, stellte ich mich einfach zu ihnen und lehnte mich mit dem Rücken gegen den Wind.
Es war wie in einem Katastrophenfilm. Man konnte nur noch ein paar Meter weit gucken, und der Lärm wurde immer stärker. Ziegel knallten vom Dach, abgerissene Äste flogen durch die Luft, und aus den Augenwinkeln sah ich doch tatsächlich eine fliegende Schubkarre – die Karre, mit der wir den Pferdemist wegschaffen. Und dann fiel plötzlich mit lautem Krachen neben uns eine ausgewachsene Kiefer um. Au weia, das war knapp! Aber die Pferde blieben ruhig.
Als das Schlimmste überstanden war, sah es auf dem Hof aus wie nach einem mehrtägigen Open-Air-Festival.
Am nächsten Tag stellten wir fest, dass wir noch vergleichsweise gut davongekommen waren. Es war bei den paar vom Dach gefegten Ziegeln und der umgestürzten Kiefer geblieben, die Dächer einiger Häuser ein paar Meter weiter waren dagegen zu großen Teilen abgedeckt worden, durch den Wald auf dem Hässelberg im Nordosten des Ortes hatte der Sturm eine Schneise gemäht.
Die Niedersächsischen Landesforsten schrieben von 4000 Hektar schwer geschädigten Waldes, besonders schlimm waren die Höhenzüge Solling und Harz betroffen. 2000 Hektar sind seither aufgeforstet worden, und dies habe sich sogar als Chance erwiesen: Statt Nadelwaldmonokulturen entstanden auf diesen Flächen Nadelmischwald und Laubwald. Mehr Baumarten sollen Wald stabiler machen und für den nächsten großen Sturm, der hoffentlich nicht so bald kommt, wappnen.

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